Wirecard: Großbritannien könnte neue Hinweise für mutmaßliche Schlüssel-Tatorte eines international ausgeklügelten Betrugssystems liefern

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Mittwoch, 3. März 2021 um 13:37

Hermes wurde sodann nur drei Wochen später zusammen mit nicht zum Unternehmen gehörenden Geldwechsel-Kiosks in Bangalore (Star Global) für insgesamt 326 Mio. Euro an die Wirecard AG als Paket veräußert. Hier taucht auch ein weiterer Name auf.

Mit der Fusion der beiden Unternehmens-Assets wurde offenbar der Kaufpreis für Hermes verschleiert. Wirecard investierte im Rahmen der Transaktion noch einmal 14 Mio. in die Unit GI Technology, vereinbarte also insgesamt 340 Mio. Euro für das Paket.

Wirecard hatte seinerzeit beteuert, „keinerlei Informationen über die Kaufpreise, die an frühere Aktionäre der erworbenen Vermögenswerte aus früheren Anteilsübertragungen ohne Beteiligung von Wirecard gezahlt wurden“, gehabt.

Der Sonderprüfer KPMG ist hingegen der Meinung, dass der vorherige Kaufpreis dem Leser der vollständigen „Legal Due Diligence“ vom 17. November 2015 durchaus hätte bekannt sein können.

Wer hinter dem Investmentfonds auf Mauritius als Verkäufer steckt, ist bis heute nicht aufgeklärt, weder EY noch KPMG konnten Licht ins Dunkel bringen. Wirecard selbst machte dazu selbstverständlich auch keinerlei Angaben.

Vermutet werden von behördlichen Ermittlern hinter der Gesellschaft auch Mitarbeiter von Wirecard oder andere nahestehende Personenkreise. Es könnte also sein, dass bei dieser M&A-Transaktion ein dreistelliger Millionen-Euro-Betrag in dunkle Kanäle abgeflossen ist.

In London klagten bereits die beiden Hermes-Investoren Prashant Manek und Sanjay Chandi als Minderheitsaktionäre von Hermes gegen die Transaktion und behaupten, dass sie beim Verkauf ihrer Anteile an Ramasamy getäuscht worden seien.

Ihnen wurde von den Gebrüdern Ramasamy, die selbst 90 Prozent der Anteile an Hermes besaßen, nahegelegt, ihre restlichen zehn Prozent der Anteile an sie zu verkaufen, bevor die Aktien „nichts mehr wert seien“.

Der Verkauf von Hermes sei im Vorfeld bereits mit Wirecard abgestimmt worden, so die Kläger und die Transaktion sei „verdeckt betrügerisch“ gewesen. Angeklagt ist auch Amit Shah, der den Hermes-Käufer Emerging Markets Investment Fund (EMIF) 1A auf Mauritius vertreten haben soll, was er bestritt.

Interessant ist in dieser Angelegenheit zudem, dass Shah von der Kanzlei Rajah & Tann vertreten wird, die auch in Singapur einen Fall für die Wirecard AG übernommen hatte.

Hermes ist auch eines der Unternehmen, die aktuell von Ermittlern in Singapur überprüft werden und im Verdacht stehen, selbst betrügerische Handlungen durchgeführt zu haben.

Der Schwindel rund um Wirecard hätte spätestens hier aufgedeckt werden können, wenn die zahlreich beteiligten Parteien genauer hingeschaut hätten. Eigentlich aber schon 2005, als zwei bereits angeschlagene kleine Unternehmen fusionierten, wobei eines davon bereits im Jahr 2000 Bilanzierungsprobleme hatte.

Aufgeklärt werden muss, wer hinter der Fondsgesellschaft EMIF 1A auf Mauritius steckt, die der Schlüssel für eine der wichtigsten Transaktionen des Managements  der gescheiterten Wirecard AG ist.

Auch stellt sich die Frage, wo die Millionen sind, die der Fonds für den Verkauf der indischen Unit an Wirecard im Jahr 2015 erhalten hat.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Oktober letzten Jahres, dass der EMIF 1A erst am 10. Februar 2015 in der Hauptstadt Port Louis als Briefkastenfirma gegründet wurde, also kurz vor der Hermes-Transaktion mit Wirecard.

Hinter EMIF 1A steckt die Investmentgesellschaft Emerging India Fund Management Ltd., die ebenfalls in Port Louis ansässig ist. Die Hintermänner der Gesellschaft sind bislang ebenfalls unbekannt.

EMIF 1A erwarb nur wenige Monate nach der Gründung für 35 Mio. Euro die drei indischen Unternehmen Hermes i Tickets, GI Technology und Star Global, an denen auch Wirecard zuvor Interesse gehabt haben soll.

Nur einen Monat später legte die Wirecard AG dann die Summe von 326 Mio. Euro auf den Tisch, also fast das Zehnfache. Der Fonds EMIF 1A und die dahintersteckende Emerging India Fund Management sind des Rätsels Lösung.

Im Vorfeld sollen „leitende Wirecard-Manager“ das Betriebsergebnis und auch den Umsatz der indischen Gesellschaft künstlich aufgebläht haben, um eine höheren Kaufpreis verlangen zu können.

Das unterstellte ein Whistleblower aus dem Kreis von Wirtschaftsprüfern im Mai 2016. In diesem Zusammenhang wurde auch der damalige Wirecard-Buchhalter Stephan von  E. namentlich genannt, der in Untersuchungshaft sitzt.

Im Vorfeld wurden zudem verschiedene auf den ersten Blick nicht gerade interessante Domains für Millionensummen von Hermes verkauft. Darunter befanden sich Getmytrip.com", "biyahko.com" und "easeticket.com".

Kaufverträge sind nie von der Wirecard AG vorgelegt worden. Eine E-Mail-Analyse des Accounts von Stephan von E. gab es offenbar auch nicht. Bilanzmanipulation zu beweisen, dürfte dennoch äußerst schwer werden. Die Akteure nutzen offenbar jedes Schlupfloch.

EY wurde 2016 vom Wirecard-Management deshalb beauftragt, den Vorfall zu untersuchen. Die Sonderuntersuchung von EY aber wurde nie zu Ende gebracht, es gab keinen Abschlussbericht.

Jan Marsalek selbst beendete am 3. April 2018 die Untersuchung und stellte fest, dass die Anschuldigungen haltlos seien, da es keine Beweise gäbe und daher auch keine weiteren Untersuchungen eingeleitet werden.

Angefragte Unterlagen seitens der Wirecard AG wurden seinerzeit „grundsätzlich verspätet oder gar nicht zur Verfügung gestellt“, hieß es im Sonderbericht von KPMG im Jahr 2020.

Kurz darauf folgte der für viele Markteilnehmer immer noch überraschende Zusammenbruch des Kartenhauses Wirecard AG. (lim/rem)

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Meldung gespeichert unter: Mobile Payment, E-Commerce, Online-Payment, Ernst & Young (EY), KPMG, Wirecard, Software, IT-Services

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