Wirecard: Großbritannien könnte neue Hinweise für mutmaßliche Schlüssel-Tatorte eines international ausgeklügelten Betrugssystems liefern

E-Commerce: Digitale Bezahllösungen (Digital Payment)

Mittwoch, 3. März 2021 um 13:37

ASCHHEIM/MÜNCHEN (IT-Times) - Der deutsche Payment-Dienstleister Wirecard ist Vergangenheit, doch neue richterliche Erkenntnisse tragen dazu bei, dass diese die mutmaßlichen Akteure wieder einholt.

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Das betrifft insbesondere eine völlig überteuerte Akquisition der Wirecard AG in Indien in den Jahren 2015/2016, deren Transaktion über Mauritius und Zwischengesellschaften als „Strohmänner“ abgewickelt wurde.

Nun hat ein Gremium von Londoner Richtern mitgeteilt, dass es sich hier um einen „entwickelnden internationalen Betrug aufgrund der Bedenken und des Verdachts der Minderheitsaktionäre" zu handeln scheint.

Dies würde eine Reihe von umstrittenen Transaktionen zeigen, die noch vor dem Kauf eines indischen Unternehmens namens Hermes durch die Wirecard AG stattfanden, berichtete die US-Nachrichtenagentur Bloomberg am Montag.

Die Transaktionen aus dem Jahr 2015 werden vor Gerichten in London (Großbritannien) und Chennai (Indien) untersucht. Richter gehen in diesem Fall von einem fortgesetzten Betrug aus.

Die ehemaligen Minderheitsaktionäre der Hermes I-Tickets Private Ltd. behaupten nämlich, sie seien um Millionen von Dollar betrogen und überlistet worden, ihre Anteile an die Mehrheitsaktionäre zu verkaufen, nur um diese dann kurz darauf zu einem weit höheren Preis an Wirecard weiterzuverkaufen.

Am vergangenen Montag sagten britische Berufungsrichter, dass die Minderheitsaktionäre von Hermes zu Recht misstrauisch gegenüber den "erheblichen" Falschdarstellungen eines der Käufer waren, als sie einen Teil des Urteils der Vorinstanz aufhoben.

Die Richter in Großbritannien versuchen derzeit, einige der verschachtelten Transaktionen des Anbieters von digitalen Zahlungsdienstleistungen im Ausland zu entschlüsseln, woran schon verschiedene Wirtschaftsprüfer scheiterten.

Der kleine indische Payment-Dienstleister Hermes wurde mit einer Bewertung von 40 Mio. US-Dollar von Indern an Inder verkauft, bevor er von Wirecard über Mauritius für mehr als 250 Mio. US-Dollar übernommen wurde.

Der ehemalige Wirecard-COO, der für das Geschäft in Asien verantwortlich war, Jan Marsalek, ist seit Monaten untergetaucht. Wo sich der gebürtige Österreicher aktuell genau aufhält ist unklar. Nach ihm wird international gefahndet.

Er spielt vermutlich eine der Schlüsselrollen bei den Verhandlungen über den Kauf/Verkauf von Hermes, das zeigen verschiedene Vorfälle und Indizien, die mittlerweile zusammengetragen wurden.

Marsalek soll Berater beim Verkauf der Minderheitsanteile von Hermes an die Mehrheitsaktionäre, zwei indische Brüder, gewesen sein, die dann das Unternehmen an einen Fonds auf Mauritius veräußerten.

Bei den Verkäufern, die ehemaligen Mehrheitsaktionäre von Hermes, handelt es sich um die beiden Brüder Ramu und Palaniyapan Ramasamy. In diesem Zusammenhang ist auch die Wirecard AG in einem anderen Fall Angeklagter.

Die Brüder hätten vor Gericht die Unwahrheiten gesagt, daher sei die Entscheidung der Vorinstanz falsch, da dieser Umstand keine Berücksichtigung fand, so die Richter in Großbritannien jüngst.

Die Insel Mauritius ist deshalb so interessant, weil bei dem Kauf des indischen Unternehmens durch Wirecard eine Gesellschaft als Mittelsmann zwischengeschaltet wurde, deren Sitz auf Mauritius angegeben ist.

Die Zentralbank von Mauritius und die Financial Services Commission (FSC) ermitteln in diesem Fall und untersuchen die Zahlungsvorgänge, die der Wirecard AG zuzuordnen sind.

Eine auf Mauritius registrierte Gesellschaft könnte auch am mutmaßlichen „Roundtripping“ von Umsätzen der Wirecard AG beteiligt gewesen sein. Der Kauf von Hermes war die größte Akquisition der Wirecard AG in der Unternehmensgeschichte.

Der in Untersuchungshaft sitzende Ex-CEO der Wirecard AG, Markus Braun, hatte die Transaktion seinerzeit als „wichtigen Schritt“ propagiert, in Indien als bedeutende Wachstumsregion Fuß zu fassen.

Im Oktober 2015 kündigte die Wirecard AG an, einen kleinen Payment-Anbieter mit dem Namen Hermes I-Tickets Private Ltd. sowie GI Technology, das Payment-Business von Great India Retail, erwerben zu wollen.

Übernommen wurde ein „Retail-gestütztes E-Commerce-Netzwerk“ sowie mehrheitlich ein inländischen (IMPS) Überweisungsdienstleister“, Emittent von lizenzierten Prepaid-Zahlungsinstrumente (PPI), bestätigte Wirecard später.

Nennenswerte Umsätze machten diese beiden Units jedoch nicht, zudem waren sie offenbar unprofitabel. Abgeschlossen wurde der Zukauf von Wirecard sodann im darauffolgenden Jahr 2016.

Skeptisch zeigte sich zu dieser Zeit bereits die renommierte US-amerikanische Investmentbank Morgan Stanley, insbesondere was die Bilanzierungsmethoden der Wirecard AG betraf. Wirtschaftsprüfer war seinerzeit  bereits EY.

Als Kaufpreis für das indische Payment-Geschäft wurden insgesamt 340 Mio. Euro aufgerufen, die Wirecard bezahlen sollte. Der Kaufpreis wurde bereits damals von Marktbeobachtern als zu viel zu hoch eingestuft und heftig kritisiert.

Die Wirecard Sales International Holding GmbH mit Sitz in Aschheim hatte sodann 60 Prozent der Anteile des Payment-Geschäftes der Great India Retail (inkl. 100 Prozent von Hermes i Tickets) für 216 Mio. Euro gekauft.

Die Transaktion, der Verkäufer war ein Fonds mit Unternehmenssitz auf Mauritius, umfasste einen zusätzlichen möglichen Earn-Out von bis zu 110 Mio. Euro. Der Kaufpreis lag also insgesamt bei maximal 326 Mio. Euro.

Die letzte Earn-Out Zahlung für das Jahr 2017 erfolgte laut KPMG-Bericht aus dem April 2020 nicht mehr. Die Ramasamy Brüder erhielten 40 Mio. US-Dollar oder rund 37 Mio. Euro für Hermes, die von einer Gesellschaft auf Mauritius bezahlt wurden.

Diese indische Unit ging an den Emerging Markets Investment Fund 1A (EMIF1A), einem Investmentfonds auf Mauritius, und wurde mit dem Unternehmen Orbit Corporate Leisure Travels (Orbit) fusioniert, das zuvor ebenfalls von EMIF1A erworben wurde.

Meldung gespeichert unter: Mobile Payment, E-Commerce, Online-Payment, Ernst & Young (EY), KPMG, Wirecard, Software, IT-Services

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